Dr. Christian Boden, Leiter des Statistischen Amtes, im Interview

„Statistik bringt das Basiswissen für Politik, Verwaltung und Gesellschaft“

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Nr.30/2022  | 08.04.2022  | StatA MV  | LAiV - Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern

Seit dem 1. Januar 2022 ist Dr. Christian Boden Leiter des Statistischen Amtes Mecklenburg-Vorpommern. Der 49-jährige ist damit seit rund 100 Tagen der Mann für die amtliche Statistik im Land – Zeit für eine erste Bilanz.

Haben Sie sich schon eingelebt in Ihrem neuen Büro? 

Im Büro habe ich mich schnell eingelebt. Die Kisten waren bald ausgepackt und die Bilder an der Wand. Das Einleben im Amt verläuft auch gut, dauert aber ein bisschen länger als die Dekoration des Büros. 

Sie sind seit rund 100 Tagen im Amt. Welche Bilanz ziehen Sie als neuer Leiter des Statistischen Amtes Mecklenburg-Vorpommern? 

Hier arbeiten viele unheimlich engagierte Menschen, die Statistik „leben“ und die sich für das begeistern, was sie tun. Andererseits sehe ich, dass die Anforderungen zunehmen, der Personalbestand aber nicht. Sich dieser Herausforderung zu stellen wird eine meiner Hauptaufgaben sein. 

Bevor Sie Mann der Zahlen wurden, waren Sie im Innenministerium zuständig für das Personal im Bereich Polizei, Brand- und Katastrophenschutz. Was hat Sie an der neuen Aufgabe besonders gereizt? Und was hat Sie am meisten überrascht? 

Es hat mich gereizt, eine neue Fachaufgabe in einem Bereich zu übernehmen, mit dem ich bisher nur wenig zu tun hatte. Ich habe auch vorher mit Statistiken gearbeitet und etwa Übersichten erstellt. Aber das lässt sich kaum vergleichen. Spannend an der neuen Aufgabe ist es, selbst an der „Produktion“ der Statistiken beteiligt zu sein – dem Faktenwissen unserer Gesellschaft. Überrascht hat mich die starke Arbeitsteilung, also wie viele Räder ineinandergreifen, bis eine Statistik den Qualitätsansprüchen so genügt, dass sie veröffentlicht werden kann. Hier arbeiten die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder eng zusammen. 

Sie sind sicher mit eigenen Vorstellungen und Vorhaben in Ihr Amt gestartet. Was davon mussten Sie als erstes über Bord werfen? Welche Vorhaben sind neu hinzugekommen? Was sind Ihre Schwerpunkte? 

Nach knapp zwei Jahrzehnten in der Landesverwaltung bin ich Realist genug, um nicht mit kurzfristigen Zielen zu starten. Insofern musste ich noch nichts „über Bord werfen“, was ich mir vorgenommen habe. Ich sehe es als wichtig an – das ist für mich neu hinzugekommen – die Position des Statistischen Amtes im Land und auch im statistischen Verbund zu stärken. Das funktioniert nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Meine Schwerpunkte liegen zu einem großen Teil bei der Organisation der Arbeit und der Abläufe und vor allem bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dies sind nur einige Aspekte, die mich sicher lange Zeit beschäftigen werden. 

Beim Statistischen Amt denken die Menschen meistens als erstes, das sind doch die, die viel zu viele Daten von mir haben wollen. Wozu brauchen Sie die ganzen Zahlen und was haben die Bürgerinnen und Bürger davon? 

Statistik bringt das Basiswissen für die Politik, die Verwaltung und auch die Gesellschaft. Nur mit dem richtigen Grundbestand an Fakten können vernünftige Entscheidungen getroffen werden. Wenn man nicht weiß, wie viele Menschen an einem Ort leben, ob viel Leerstand herrscht oder wo wie viele Fahrzeuge täglich unterwegs sind, kann man nicht begründen, dass Wohnungen oder Schulen besser an dem einen oder anderen Ort gebaut werden oder dass die eine Straße vielleicht gar nicht notwendig ist. Statistiken tragen zur Entscheidungsfindung bei.

Statistik funktioniert aber nur, wenn auch Zahlen und Daten vorhanden sind. Hier wird bereits ein großer Teil indirekt erhoben. Das heißt, es wird versucht, Erkenntnisse aus vorhandenen Registern oder bei Verwaltungen bereits vorliegenden Daten zu ziehen. Darüber lässt sich das aber nicht alles abdecken. Deshalb sind wir auch auf die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Dabei versuchen wir natürlich, den Aufwand für diese gering zu halten, indem Meldungen etwa auf digitalem Weg erfolgen können. 

Das Statistische Amt M-V ist seit 2006 kein Landesamt mehr, sondern eine Abteilung des Landesamtes für innere Verwaltung, das zum Innenministerium gehört. Kann so das Statistische Amt M-V überhaupt unabhängig sein, wie der Gesetzgeber es vorschreibt? 

Das Statistische Amt ist zwar Teil des Landesamtes für innere Verwaltung (LAiV). Es hat aber rechtlich und tatsächlich eine gewisse Eigenständigkeit, so dass die statistische Geheimhaltung auch innerhalb des LAiV gewahrt bleibt. Daher ist das Statistische Amt im Hinblick auf Einzeldaten weisungsunabhängig und kann nicht angewiesen werden, diese etwa an Dritte herauszugeben. Als „Datenlieferant“ ist das Statistische Amt nicht nur ein neutraler und objektiver Dienstleister für Bürgerinnen und Bürger, Verwaltung und Politik in Mecklenburg-Vorpommern. Im Verbund mit den Statistischen Ämtern der anderen Bundesländer und des Bundes trägt es dazu bei, Daten deutschlandweit in hoher Qualität bereit zu stellen. Dabei kommt es auf jedes Bundesland an: Nur gemeinsam können wir die kompletten Daten liefern. Die Stärke liegt also auch in der Zusammenarbeit. 

Erst Corona-Pandemie und jetzt Krieg in der Ukraine – wie schlägt sich das in den Zahlen nieder? 

Statistische Daten sind in der Regel auf die Vergangenheit bezogen. Sie können aber darüber hinaus auch Entwicklungslinien aufzeigen oder als Basis für Prognosen dienen. Jedoch muss man vorsichtig sein, aus gleichzeitig auftretenden Ereignissen einen Ursachenzusammenhang zwischen ihnen herzustellen.

Was die Corona-Pandemie angeht, enthält das Statistische Jahrbuch zum Beispiel in den einzelnen Kapiteln eine themenspezifische Zeitleiste zu Maßnahmen und Regelungen während der Pandemie, so dass sich Vergleiche ziehen lassen. So lässt sich z. B. gut ersehen, wie sich die Monate des Lockdowns auf die Entwicklung im Gastgewerbe ausgewirkt haben. Das Statistische Bundesamt und auch der Statistische Verbund haben dazu ausführliche Auswertungen vorgenommen.

Der Krieg in der Ukraine findet gerade statt und seine Auswirkungen treffen auch uns. Spürbar dürfte das derzeit vor allem bei den Preisen für Kraftstoffe, Gas und Öl sein. Was aber alles unmittelbar und allein auf den Krieg zurückzuführen ist, dürfte sich schwerlich heute schon sagen lassen. 

Vor welchen Herausforderungen steht das Statistische Amt M-V? 

Wie die gesamte öffentliche Verwaltung ist auch das Statistische Amt im digitalen Wandel begriffen. Hier müssen wir uns behaupten. Systeme werden weiterentwickelt, Fachverfahren erneuert, der Zugriff für Auskunftspflichtige erleichtert oder Daten anders erhoben als zuvor. Das funktioniert nur mit einer leistungsstarken IT und einem leistungsstarken IT-Service. Aber auch und vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen hier mitgenommen und bei diesen Prozessen unterstützt werden.

Die Digitalisierung bringt auch mit sich, dass dem Aspekt der Datensicherheit immer mehr Bedeutung zukommt. Cyberangriffe auf die öffentliche Verwaltung haben gezeigt, dass sich Kriminelle jede Schwachstelle zunutze machen, sei es eine technische oder eine menschliche. Oberstes Ziel ist es, die Sicherheit der für die Statistik erhobenen Daten und die Arbeitsfähigkeit des Statistischen Amtes zu gewährleisten. 

Die Statistik schaut ja eigentlich immer nur zurück auf das, was war. Wann schaut die Statistik nach vorn? 

Statistik schaut notwendig zurück, weil die Daten immer erst erhoben werden müssen und damit zum Zeitpunkt ihrer Erhebung „alt“ sind. Diese Erhebungen können aber die Grundlage und das „Datenfutter“ sein, um weitere Entwicklungen aufzuzeigen. So lässt sich aus der Altersstruktur der Bevölkerung gut ablesen, wann wie viele Kinder in die Schule kommen werden oder wann wie viele Menschen voraussichtlich in den Ruhestand eintreten werden. Auch bei der Prognose der Bevölkerungsentwicklung ist die derzeitige Entwicklung die Basis, die natürlich um viele weitere Berechnungen und Annahmen angereichert wird. Aber ohne die Grunddaten wäre eine solche Prognose nicht möglich. 

Und was sehen Sie, wenn Sie für das Statistische Amt M-V nach vorn schauen? 

Ich wünsche mir, dass das Statistische Amt die Unterstützung und das Verständnis in der Politik und auch der Öffentlichkeit erfährt, die die Menschen, die hier gute Arbeit leisten verdienen. Die Aufgaben haben zugenommen, die Anforderungen auch, das Personal nicht. Wenn neue Aufgaben geschaffen werden, sollte immer mit berücksichtigt werden, dass dafür auch mehr Arbeit und Aufwand notwendig sind.

Statistische Daten können als neutrale und vor allem auch unabhängige Grundlage helfen, Debatten zu versachlichen und sich nicht von „Fake-News“ leiten zu lassen. Angesichts mancher aus dem Ruder laufender Diskussionen würde ich mir wünschen, dass man hier zu mehr Sachlichkeit und Nüchternheit zurückkehrt. Dazu kann und will das Statistische Amt seinen Beitrag leisten.

Weitere Auskünfte erteilt Frau Michaela Ludmann, Telefon 0385 588-56411. 

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